22.11.2024

Amna Elhassan

(Über-) leben und Work-Life-Balance

Die Produktions- und Ausstellungsplattform Basis ist der passende Ort, um die Künstlerin Amna Elhassan zu treffen... Seit März 2024 wohnt sie in Frankfurt am Main und kann dank der Martin Roth-Initiative, einem Stipendienprogramm, in einem eigenen Atelier in der Basis arbeiten. Basis e. V. fördert und präsentiert seit 2006 internationale Gegenwartskunst. Um kreative Prozesse am Standort Frankfurt anzustoßen und weiterzuentwickeln, stellt der Verein günstige Arbeitsräume bereit, organisiert Ausstellungen sowie verschiedene Austauschprogramme. Lesungen, Vorträge, Konzerte und Performances ergänzen das Programm. Im Rahmen der Austauschprogramme und Arbeitsstipendien erhalten internationale Nachwuchskünstler*innen und -kurator*innen die Möglichkeit, neue Perspektiven auf die eigene Praxis zu erhalten und sich international zu vernetzen. In diesem Zusammenhang hat auch die sudanesische Künstlerin Amna Elhassan ihre (Arbeits-) Basis gefunden. Zu Beginn des Programms arbeitete sie vorübergehend in meinem Gastatelier, und so lernten wir uns kennen.

Amna Elhassan thematisiert mit ihrem sehr persönlichen künstlerischen Werk die sozio-politischen Veränderungen und kulturellen Widerstände im Sudan mit besonderem Fokus auf die Frauen in ihrem Land.

Meine künstlerische Arbeit ist auch eine Möglichkeit, den Schmerz und Horror in schlimmen Zeiten zu überwinden.

Nach dem Studium der Architektur an der Universität von Khartum folgten ein Stipendium und das Masterstudium in Architekturdesign an der Sapienza Università di Roma. Ihre Mutter, eine Architektin, und ihr Vater, ein Bauingenieur, unterstützten Amna Elhassan.

Zurück in Khartum, entwickelte sie ihr Interesse an der bildenden Kunst über die Fotografie und Urban Art Workshops am Goethe-Institut. Im Jahr 2017 nahm Amna an einem Atelierprogramm im Khartum Art Training Center teil, wo sie Malerei und Zeichnung studierte. Sie arbeitet bis heute mit Öl-, Aquarell- und Sprühfarben und experimentiert mit verschiedenen Drucktechniken. Dar Al Naim inspirierte sie: Die sudanesisch-spanischen Künstlerin leitete einen Workshop für Druckgrafik, der auf einfach verfügbaren Materialien und Möglichkeiten wie Stempel- und Kartoffeldruck basierte.

Seit 2019 arbeitet Amna Elhassan hauptberuflich als Bildende Künstlerin. Vertreten von der Dara’s Gallery Khartum nahm sie an der Kunstmesse in Tunis und den Journées d'Art Contemporain de Carthage (JACC) teil – das war das erste Mal, dass sie ihre Werke international ausstellen konnte.

2022 wurde Amna Elhassan als Gastdozentin nach Hamburg eingeladen, um ein Seminar mit dem Titel „Kunst in Zeiten der Krise“ an der Hochschule für Bildende Künste zu halten. Ihre Arbeiten, Vorträge und Diskussionen, die auf Online-Plattformen veröffentlicht wurden, führten dazu, dass sie im gleichen Jahr nach Frankfurt am Main zur Ausstellung „Deconstructed Bodies – in Search of Home“ in die Kunsthalle Schirn eingeladen wurde.

Dort kreierte sie eine ortsspezifische Installation: ein großformatiges Panoramagemälde auf der Glasfront der Rotunde kombiniert mit Malereien, Drucken und Texten an den Wänden. In diesem Werk verarbeitet sie die gewaltsame Zerschlagung der Demokratiebewegung im Sudan und nimmt Bezug auf das Massaker von Khartum am 3. Juni 2019. Heimat und die Suche nach dem sicheren Zuhause waren für alle Frauen im Sudan während der Revolution ein zentrales Thema, das sich bis in die Gegenwart zieht.

Als Studentin interessierte sich Amna für Konstruktion und Dekonstruktion in der Architektur – in ihrer künstlerischen Arbeit spielt das Konstruieren und Dekonstruieren weiblicher Stereotypen eine große Rolle.

Als Künstlerin stelle ich mich gerne immer wieder neuen Herausforderungen.

Sie zeichnete und konstruierte die großen Bilder für die Rotunde am Computer. Schließlich trug sie die einzelnen Details der Motive Schicht für Schicht vor Ort auf. Einige der Acrylbilder auf Leinwand kombinierte sie mit Textelementen. Die Wissenschaftlerin Larissa-Diana Fuhrmann, die am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung arbeitet und forscht, kuratierte die Ausstellung.

„In meinem Viertel Shambat in Khartum, einer der Orte die maßgeblich für die Revolution im Sudan verantwortlich war, die zum Fall der 30-jährigen Diktatur von Umar al-Bashir führte, wurden viele junge Menschen während der friedlichen Proteste von der Miliz und Polizei ermordet. Darunter waren sehr viele Frauen.“ Die Menschen im Sudan träumten von einem neuen, utopischen Leben. Amna Elhassan möchte mit ihren farbenfrohen Malereien auf dieses positive Lebensgefühl Bezug nehmen. Ebenso ist es ihr wichtig auf die Situation im Sudan aufmerksam machen, die neben anderen Kriegen und Konflikten immer noch weltweit eher unbeachtet bleibt. „Gewalt und Hoffnung liegen bei Amna Elhassan eng nebeneinander“, kommentierte die TAZ, das trifft ihre Situation sehr gut.

Die Militärführung und die zivile Opposition im Sudan einigten sich nach der Diktatur auf eine Übergangsregierung, die das Land innerhalb von fünf Jahren demokratisieren sollte, was leider nicht gelang. Stattdessen führten mehrere Militärputsche zu einem Krieg. Die Hauptstadt Khartum ist weitgehend zerstört und entvölkert. Das Viertel Shambat, in dem Amna aufwuchs, war wie eine erweiterte großen Familie, die durch den Krieg in alle Teile des Landes und ins Ausland vertrieben wurde. Die Lage der Menschen ist heute sehr kritisch, sie sind teilweise isoliert und es mangelt an Nahrungsmitteln und sauberem Wasser. Viele Kinder sind vertrieben und können nicht zur Schule gehen.

Im April 2022 war Amnas Familie gezwungen, aus Khartum in Richtung Norden nach Halfa, an der Grenze vom Sudan zu Ägypten, zu fliehen. Über Kairo reisten sie nach Saudi-Arabien weiter.

Im Juni 2023 erhielt die Künstlerin ein Stipendium für einen dreimonatigen Aufenthalt in der Achterhaus Ateliergemeinschaft e. V. in Hamburg. Dort beschäftigte sie sich mit dem Thema Heimat. Was macht ein „Zuhause“ aus? Es ging um ihre persönliche Erfahrung und um Erinnerungen: an Orte in ihrer Heimatstadt, an denen Frauen sich treffen, Rituale praktizieren und austauschen.

Wann immer ich reise, versuche ich Freunde zu finden.

Dieses Gemeinschaftsgefühl erinnert Amna an ihre Heimat. "Ich würde gerne eines Tages in den Sudan zurückkehren, aber leider weiß ich nicht, wann dieser Tag kommen wird. "Was bedeutet die Stadt Frankfurt in diesem Zusammenhang? „Frankfurt ist eine vielfältige Stadt, das freut mich sehr. Der Sommer ist schön und warm, das erinnert mich an Khartum. Das Atelier in der Basis e. V. gibt mir ein großes Gefühl der Sicherheit.“ Zum ersten Mal sind Arbeitsbereich und Wohnbereich getrennt, das ist neu für die Künstlerin. Sie benötigte Zeit, um sich daran zu gewöhnen, gleichzeitig organisiert das ihren Tag.

Die deutsche Sprache ist einzigartig, zeitintensiv und herausfordernd.

In Frankfurt arbeitet Amna Elhassan auch mit der Galerie Sakahile & Me zusammen. 2024 zeigte sie die Einzelausstellung „Things I knew when I was young“ mit Gemälden, Skulpturen und einer Klanginstallation (Wiegenlieder ihrer Mutter). Zurzeit bereitet sich Amna für eine Gruppenausstellung mit dem Titel „Politics of Love“ vor, die im November 2024 im Kunsthaus Hamburg stattfinden wird. Wieder wird sie mit ihren Werken auf die Situation der Menschen im Sudan aufmerksam machen. Es bleibt spannend.

So komme auch ich zu der Frage: Was bedeutet für Dich Erfolg?

Erfolg bedeutet für mich zu wachsen, mich weiter zu entwickeln.

"Nach der Vertreibung aus meinem Land ist es für mich erstrebenswert, trotz aller Krisen in Balance zu bleiben, alle Herausforderungen annehmen zu können und dennoch in mir selbst zu ruhen – das ist für mich Erfolg!“ So kann Work-Life-Balance auch aussehen! Ich danke Amna Elhassan sehr für das uns entgegengebrachte Vertrauen und für Ihre Offenheit.

Interview: Sandra Mann

www.amnaelhassan.com/

instagram: amnaelhassan

 

 

 

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