27.07.2023

Miriam Schulte

Frankfurt-Berlin-Frankfurt oder die Liebe zum urbanen Leben

Eine ganz eigene Welt. Musik auflegen. Alle feiern und sind ausgelassen und Du bist hoch konzentriert – was fasziniert Miriam Schulte an der Welt der elektronischen Musik und der Clubs?

Wir sitzen im Musikzimmer in Miriams Wohnung direkt am Hauptbahnhof. Der Blick schweift über die Dächer bis hin zu den exklusiven Wohntürmen des Europaviertels. Musikzimmer. Darunter habe ich mir immer was anderes vorgestellt. Eher gediegen. Ein Flügel vielleicht. Hier steht Miriams Arbeitsmaterial: DJ-Equipment.

Ich bin ein urbaner Mensch, mag lieber Beton- und Industrieästhetik als Naturidyllen. Ich liebe es laut, wild, dreckig.

Ich hingegen mag Gartenarbeit, die Ruhe, gehe gerne früh schlafen und war noch nie in einem Techno-Club. Prima Einstieg – und tatsächlich, es funkt sofort, macht Spaß, und wir führen ein richtig gutes Gespräch.

Ihre Streifzüge durch Plattenläden haben Miriam Schulte zur Technoszene geführt, es war eine musikalische Faszination. Die elektronische Technomusik ist anders strukturiert als Rock oder Punk, hat eine fast monotone Wiederholung. „Diese Musik macht nur Sinn, wenn man sie mixt, die Tracks miteinander neu kombiniert. Du legst ja nicht Track nach Track auf, sondern es gibt Übergänge. Wenn ich zwei Stunden auflege, ist das ein durchgehender Mix ohne Pause.“ Es hat Miriam Schulte immer fasziniert, mit dem zu arbeiten, was schon da ist, und daraus etwas Eigenes, Neues zu schaffen. Etwas, das man nicht wiederholen kann. „Ich überlege mir vorher, was ist das für ein Club? Zu welcher Zeit spiele ich? Wie will ich die Dramaturgie gestalten? Will ich von der Sanftheit zur Härte? Will ich vom Minimalismus zur Fülle? Oder umgekehrt? Je besser ich vorbereitet bin, desto flexibler kann ich agieren. Ich bin als DJ keine Performerin, sondern Selector.“

Miriam Schulte steht als DJ nicht gerne exponiert im Mittelpunkt, sondern arbeitet lieber unauffällig, sie möchte einen bestimmten – ihren eigenen – Sound vermitteln. Und klar, wenn man das mit Überzeugung tut, dann kommt es auch rüber. Eine komplexe technische Angelegenheit von höchster Konzentration. Vielen Menschen ist vermutlich nicht klar, was ein DJ eigentlich macht: Die musikalische Verantwortung für die Party übernehmen und dafür, dass die Gäste eine intensive, gute Zeit haben. „Es hängt an dir. Wenn die Musik in einem Club nicht funktioniert, dann ist die Party scheiße.“

Ich habe bis heute Lampenfieber.

Als Miriam begonnen hat, sich für Techno zu interessieren, hatte sie überhaupt keine Kontakte in der Szene. „Ich habe mir alles komplett alleine angeeignet. Ich habe mich ein Jahr lang in meiner Bude eingeschlossen und den ganzen Tag mixen geübt.“

20 Jahre DJ-Leben sind eine lange Zeit. Miriam Schulte hat in Frankfurt Germanistik und Kulturanthropologie studiert und lange im Verlagswesen gearbeitet. Bis heute hat sie einen soliden Teilzeitjob. Und erlaubt sich dadurch eine noch größere künstlerische Freiheit. Auch als DJ geht man durch eine künstlerische Entwicklung. Miriam hat sich im Laufe der Zeit musikalisch immer wieder verändert. Und legt heute keinen Techno im klassischen Sinne mehr auf, sondern Bassmusik, UK Bass, Dubstep. „20 Jahre lang einen immer vorhersehbaren Sound aufzulegen ist kommerziell vermutlich sinnvoller. Aber damit reich zu werden war ja nie mein Plan.“

Vinyl-Schallplatten waren für Miriam Schulte nie ein kultureller Fetisch, sondern immer nur Arbeitsmittel, es gab ja früher kein anderes. Und als die digitale Revolution in der DJ-Kultur losbrach, fand sie das sehr attraktiv: „Die Plattenschlepperei hat mich immer genervt.“ Oft funktionierten in den Clubs die Plattenspieler nicht richtig, es gab immer technische Unwägbarkeiten. Heute reist Miriam nur mit USB-Sticks. „Als ich mich vor zweieinhalb Jahren entschieden habe, nach 15 Jahren Berlin zurück nach Frankfurt zu gehen, hatte ich in meiner Berliner Wohnung rund 3000 Vinylplatten.“ Sie hat sich von über der Hälfte ihrer Platten verabschiedet. Auch eine pragmatische Entscheidung.

Techno, Frankfurt, Berlin – und die Herkunft? „Ich komme aus der Provinz, das hat mich sehr geprägt. Ich bin auf einem Dorf im Sauerland aufgewachsen, 500 Einwohner. Da war nichts. Nur Wälder, Schützenfeste, katholische Kirche, CDU. Als Teenager habe ich wirklich gelitten. Ich habe bis heute ein leicht gestörtes Verhältnis zum Wald, weil ich ihn als Jugendliche als Gefängnis wahrgenommen habe. Diese einsame Beklemmung spüre ich bis heute, wenn ich einen Waldspaziergang mache.“

Ich hatte so eine urbane Sehnsucht in mir.

Und diese Sehnsucht zieht sich durch ihr ganzes Leben. Zähne zusammenbeißen bis zum Abi und dann nichts wie weg in die Großstadt. In Frankfurt ist Miriam zunächst in die Punkszene eingetaucht. Dann kam der Wechsel zum Techno. Und Frankfurt war in den Neunzigern eine Hochburg der Technoszene. „Bis ca. zum Jahrtausendwechsel gab es in Frankfurt neben den bekannten offiziellen Clubs auch einen lebendigen Techno-Underground, wir haben illegale Partys gemacht, zum Beispiel im Ostend, am Ratswegkreisel einfach eine Anlage aufgestellt und losgelegt. Die Polizei sah das damals noch eher gelassen, eine schöne Zeit war das.“

Und dann wurde wieder alles zu eng und zu klein. Frankfurt bot nicht mehr genug musikalische Freiheiten, die Möglichkeiten waren beschränkt. Wieder diese Sehnsucht nach Urbanität und Subkultur, die sich durch Miriams Leben zieht – damals kam nur Berlin infrage. Es war ein Schritt ins Ungewisse, doch er zahlte sich aus. „In Frankfurt musste man sich damals auskennen, um die coolen Underground-Nischen zu entdecken, musste wissen, wo was stattfand und die richtigen Leute kennen. In Berlin hingegen lag die Subkultur offen auf der Straße, es war einfach, ich habe rasch Anschluss gefunden.“

Manchmal blicke ich mit Verblüffung auf mein Leben.

„Ich hatte ein geiles Leben in Berlin. Ich bin viel ausgegangen, habe viel aufgelegt und unfassbar tolle Menschen kennengelernt, die ich bis heute sehr vermisse. Berlin war mein Zuhause, ich habe mich dort aufgehoben gefühlt.“ Aber dann, nach 15 Jahren, mitten in der Pandemie, breitete sich ein unterschwelliges Gefühl von I need a change aus.

„Ich habe Frankfurt immer geliebt. Und habe Frankfurt in Berlin auch immer verteidigt. Ich bin auch deshalb zurückgekommen, weil ich Sehnsucht hatte nach diesem speziellen Spannungsverhältnis in Frankfurt. Ich mag die Gegensätze, die in Frankfurt auf kleinstem Raum vereint sind. Das inspiriert mich.“

Sobald es zu idyllisch wird, fühle ich mich unbehaglich.

„Als ich zurück nach Frankfurt kam, habe ich zunächst im beschaulichen Sachsenhausen gewohnt. Aber das hat nach 13 Jahren Neukölln für mich nicht mehr funktioniert. Ich wollte entweder im Bahnhofsviertel oder in der Offenbacher Innenstadt wohnen und Ersteres hat dann nach langem Suchen zum Glück geklappt.“

„Berlin war in gewisser Hinsicht eine Subkultur-Idylle, ein Szeneparadies. Ich vermisse das auch manchmal, zugegeben. In Frankfurt spürt man hingegen eine stärkere soziale Kälte und ist umgeben von kapitalistischer Ästhetik. Aber vielleicht mag ich das Gefühl, als wandelnde Antithese durch die Stadt zu streifen. Das für mich eher lebensfeindlich anmutende Europaviertel zum Beispiel. Wenn ich da entlanglaufe, habe ich sofort schöne darke Dubstep-Sounds und eiskalte Grime-Beats im Kopf.“

Als weiblicher DJ in die Technoszene eintauchen – war das was Besonderes?

Ich bin da als Frau mit einer unfassbaren Naivität reingegangen.

Für Miriam Schulte war es selbstverständlich, sich mit Musik zu beschäftigen, Platten zu sammeln und sich mit der Kunst des Mixens auseinanderzusetzen „Ich habe anfangs gar nicht verstanden, dass man in so eine männlich geordnete Welt reinfällt.“ Und der Zugang früher strukturell beschränkt war für Frauen. Sie erzählt von Unverschämtheiten: „Dafür, dass du eine Frau bist, legst du aber gut auf! Solche Absurditäten haben ich und viele meiner DJ-Kolleginnen uns damals anhören müssen.“ Doch es hat sich viel geändert, vor allem in Berlin. Es gibt heute ein stärkeres Bewusstsein für Diversity in der Clubszene und es gibt Awareness Konzepte, die insbesondere Frauen vor Übergriffen schützen sollen. „In Berlin hat clubkulturell ein riesiger Wandel stattgefunden, in der Undergroundszene findet man kaum noch male-only Line-ups .“ Nach ihrer Rückkehr war Miriam verwundert: „Ganz so weit ist man in Frankfurt noch nicht. Aber das kann ja noch kommen. Und no place for racism, homophobia, sexism – das wird natürlich auch in Frankfurter Clubs als klare Ansage kommuniziert.“

Unsere Lieblingsfrage – was ist für dich Erfolg?

„Erfolg ist, wenn das, was ich aus Leidenschaft tue, andere Menschen glücklich macht. Wenn die musikalische Botschaft ankommt.“ Anerkennung? „Ja, auch Anerkennung. Aber ich meine es noch ein bisschen deeper.“ Miriam Schulte möchte verstanden werden – als Mensch und als DJ. Und natürlich braucht das ein Feedback, ein Feedback auf der Tanzfläche.

Wenn ich die Menschen im Herzen berühren kann, dann ist das der schönste Erfolg.

Miriam setzt sich auch konzeptionell mit Musik auseinander. Und es geht ihr nicht um bloßes Entertainment, sondern um ein individuelles, anspruchsvolles Sound-Konzept. "Auf radio x, Frankfurts unabhängigem Stadtradio, habe ich eine monatliche DJ Night zusammen mit Horst Senegal, da legen wir Bass- und Soundsystem Music auf, von Reggae bis hin zu modernen Clubsounds aus UK. Auch im Waggon Offenbach lege ich hin und wieder mit Freund:innen auf, das ist ein cooler Underground-Ort mit einem sehr diversen Musikprogramm." Und die weiteren Pläne? "Weiterhin Frankfurt neu entdecken, durch die Stadt streifen, musikalisch neugierig bleiben."

Ich habe nie einen Lebensplan gehabt.

Und wir gehen raus zum Fotoshooting im Bahnhofsviertel, fotografieren mitten auf der Münchner Straße, Menschen sprechen uns neugierig an, die Straßenbahn klingelt. Es ist laut, wild und dreckig.

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