10.05.2021

Patricia Germandi

Nachdenken über den Begriff Kultur oder: was macht die Biologin in unserer Reihe?

Im Palmengarten. Es ist April und es schneit. Mit Patricia Germandi führe ich ein Gespräch über Sehgewohnheiten und Vergänglichkeit. Patricia Germandi ist die Leiterin für Kommunikation und Veranstaltungen im Palmengarten. Wir fragen nach dem Anknüpfungspunkt zum Thema Kultur. Würde sie das, was Sie tut, als Kulturarbeit bezeichnen?

Kultur ist ein sehr weiter Begriff.

Spricht man von Kultur, denkt man gerne an Kunst. Patricia Germandi ist Biologin. Als Biologin kann man den Begriff Kultur auch ganz anders definieren. Der Palmengarten vereint Pflanzenkulturen aus aller Welt. Patricia Germandi betreut nicht nur die Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation, sondern ist auch für Veranstaltungen, Ausstellungen oder Konzerte im Garten verantwortlich. Auch im Sinne der Künste hat der Palmengarten eine lange Tradition. So steht im Garten ein wunderbarer Musikpavillon, der bekannt für seine Jazz- und Blueskonzerte oder Opernaufführungen ist, es gab auch mal eigenes Orchester und sogar einen Musikdirektor. In diesem Jahr wird der Palmengarten 150 Jahre alt. Bereits zu Beginn war das Ziel, mit dem großen neuen Garten einen öffentlichen Raum zu schaffen: Ein gesellschaftliches Forum, wo Menschen Schönes erleben, flanieren und Pflanzen betrachten, aber auch Musik hören konnten. Zusammen mit der neuen Direktorin Katja Heubach hat sich Patricia Germandi zum Ziel gesetzt, im Palmengarten beide Bereiche stärker zu verzahnen, interdisziplinär zu denken und Kultur im klassischen Sinne von Musik, bildender Kunst oder Literatur mit den Themen des Gartens in einen Dialog zu bringen. “Das ist für mich eine sehr facettenreiche Möglichkeit, Kultur im Garten sichtbar und erfahrbar zu machen.”

Patricia Germandi war immer schon sehr an Kunst interessiert. Gleichzeitig gab es für sie keinen schöneren Ort als das Ginnheimer Wäldchen. Nach einer Ausblidung zur Werbekauffrau war klar: Es fehlt der Inhalt, nämlich die Natur. Und so folgte ein Biologiestudium.

Ich war immer schon der Natur, den Pflanzen und Tieren sehr verbunden.

Später, in der Wissenschaftskommunikation im Senckenberg Museum, war es ihre Aufgabe Naturthemen für die Öffentlichkeitsarbeit und für Ausstellungen aufzubereiten. Bevor Patricia Germandi in den Palmengarten wechselte, hat sie im Museum Sinclair-Haus Bad Homburg – einer Kulturinstitution, die mit dem Schwerpunkt Natur und Kultur nahezu einzigartig ist – in einer vergleichbaren Position gearbeitet. “Projekte, die Kunst- mit Naturpädagogik interdisziplinär verzahnen: Dadurch hat das, was schon immer in mir geschlummert hat, seine erste logische Konsequenz bekommen.” Inmitten von Kunsthistoriker*innen und -pädagog*innen musste sie jedoch zunächst eine neue Sprache lernen und sich an eine andere Denkweise gewöhnen. Ein Perspektivwechsel.

Sehgewohnheiten sind für mich ein ganz wichtiges Thema.

Auch im Palmengarten hat man sich immer schon bemüht, Brücken zu bauen zwischen den Blumen-Schauen und Kunst-Ausstellungen. “Aber man war sich kaum bewusst wie bereichernd das Miteinander sein kann. Naturwissenschaft, Philosophie, Kunst arbeiten heutzutage viel enger zusammen, versuchen durch verschiedene Sehgewohnheiten neue Pfade zu betreten. Gemeinsam auf Dinge zu blicken, die man alleine nicht sehen kann.” Die Erfahrungen zeigen, dass es nicht immer ganz einfach ist, neue Wege zu gehen und Sehgewohnheiten zu hinterfragen.

Im Palmengarten werden künstlerische Interventionen vom Publikum gerne als Störung gesehen, weil sie dort nicht vermutet.

“Ein Garten ist immer eine gestaltete Landschaft und deswegen kann auch die Kunst sich positionieren. Und weil die Kunst anders ist, macht sie was mit uns und unseren Sehgewohnheiten.” Ein anderes spannendes Thema in diesem Zusammenhang ist die Vergänglichkeit. Unsere Sehgewohnheit sagt: tolle Blumenschauen, täglich frische Pflanzen, nichts Verwelktes. Alles soll perfekt aussehen. Und wenn ein künstlerisches Projekt sich mit dem Vergehen, mit dem Verwelken beschäftigt? “Das ist für Gärtnerteam wie Palmengartenpublikum ganz schwer auszuhalten.”

Eine andere Herangehensweise wagen und die Sehgewohnheiten auf den Kopf zu stellen – das betrachte ich als meine Aufgabe.

Die Vergänglichkeit und das Verwelken sind Teil der Natur. Wenn die Vergänglichkeit nicht wäre, würde nichts Neues entstehen. Zum Beispiel die Insektenwiese. Natürlich sieht es dort nicht immer schön aus. Die Insektenwiese ist, wenn sie nicht gerade blüht, erstmal irritierend. Für Patricia Germandi gilt es das Publikum zu überzeugen, dass auch dies eine eigene Ästhetik hat. Und nicht nur der Frühling, wenn Narzissen und Tulpen ihre Köpfchen aus der Erde strecken und alle sich über die Farbenpracht und das Leben freuen. Auch das neue Blüten- und Schmetterlingshaus stellt ökologische Fragen: Kann man es heute noch verantworten, einen so hohen Energieaufwand zu betreiben, um regelmäßig Schmetterlinge schlüpfen zu lassen? Der Palmengarten begreift es als Chance, sich mit dem Thema Ökosystemleistungen zu beschäftigen, Blüten und Bestäuber als ein ökologisches Thema zu definieren und völlig neu aufzuarbeiten. “Wir betrachten das Blüten- und Schmetterlingshaus als ein Zugpferd, mit dem wir in den Garten locken, um darüber das Publikum auch an die bestäuberökologischen Themen der neuen Informationsausstellung heranzuführen.”

Mich interessiert, ob aus der momentanen Pandemie-Situation heraus neue Projekte entwickelt werden, die auch langfristig interessant sind. “Ja, denn unsere Sehgewohnheiten haben auch viel mit Wahrnehmung zu tun. Und die Natur bietet sich dafür an, verschiedene Sinne zu locken.” Klangkunst zum Beispiel komme sehr gut an beim Publikum und sei eine Chance, den Außenraum neu hörbar zu machen: Wie klingt ein Baum, der wächst? Oder eine Rose kurz vorm Erblühen?

Patricia Germandi sieht sich als Brückenbauerin zwischen dem gärtnerischen Team, Künstler*innen und dem Publikum. “Man geht heute viel philosophischer an die Themen heran. Wir müssen nicht immer skulptural denken, wir können uns den Themen auch mal performativ oder diskursiv nähern. Uns weiter öffnen, mehr in offene Prozesse wagen.” Auch die Verbindung von Naturwissenschaft und Biologie, Kommunikation und Kunst darf sich noch weiter entwickeln.

Ich arbeite gerne interdisziplinär. Mir gefällt es, symbiotisch zu denken. Welche Ressourcen, welche Ideen haben die anderen? Wir müssen die Dinge neu denken, und auch mal auf den Kopf stellen.

Für Patricia Germandi sind digitale Projekte nur eine vorübergehende Lösung. Sie möchte Menschen mit unterschiedlichen Denkweisen, aus verschiedenen künstlerischen Sparten, aus philosophischen und naturwissenschaftlichen Kontexten, aber auch der Politik und der Wirtschaft einladen und eine regelmäßige Talkreihe etablieren. Die Talks sind als Werkstattgespräche gedacht, die auch in Projekte oder in eine weitere Zusammenarbeit münden können. Das sind die Wünsche, die Patricia Germandi umtreiben. Zu überlegen, was man daraus gewinnen könnte und vor allem ergebnisoffen in die Gespräche zu gehen.

Was bedeutet für Dich Erfolg? “Für mich ist Erfolg, wenn ich am Ende eines Projektes viele zufriedene Menschen sehe, die ich mitnehmen konnte auf eine gemeinsame Reise. Etwas auszuprobieren, einen neuen Weg einzuschlagen und am Ende von mir selbst und von allen anderen überrascht zu werden.”

Ein bisschen wie ihr Leben. Viele Ideen, ein bunter Lebenslauf. “Meine Eltern haben gesagt: Was willst du damit jetzt noch, Kind? Und meine Oma: Botanik? Willst Du Palmengartendirektorin werden?” Dass sie tatsächlich im Palmengarten landen würde, hätte Patricia Germandi nicht gedacht. “Das ist für mich Erfolg. Etwas zu erreichen, das ich gar nicht angestrebt habe.” Letztendlich ist es aber auch keine Überraschung, sondern hat die vielen Kompetenzen und Interessen von Patricia Germandi konsequent zusammengefügt.

www.palmengarten.de

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